Eine schicksalhafte Begegnung
Endlich wieder Sonne. Nach einer verregneten Ewigkeit, die leider auch ein Spiegel seiner aktuellen Gemütsverfassung war, hatte Paul sich schnell entschlossen, diese farbenfrohe Herbststimmung zu nutzen, und sich zu einem ausgedehnten Spaziergang aufgemacht. Schon seit Tagen trieben ihn Unsicherheit und Zweifel um. Er war kurz davor allen Mut zusammenzunehmen und sich von seinem Arbeitgeber zu trennen, um endlich das zu tun, was er schon immer am liebsten tat – Menschen ein kluger Begleiter in Entscheidungssituationen sein. Nachdem er anfangs nur mit klugen aber gern genommenen Ratschlägen aufwarten konnte, hatte er irgendwann verstanden, dass Menschen nur dann einer Entscheidung engagiert und mit Durchhaltevermögen folgten, wenn sie diese Entscheidung selbst verantwortungsvoll vorbereitet und mit allen relevanten Punkten im Blick getroffen hatten. Genau dazu wollte er sie ermutigen. Bei diesem Prozess wollte er sie begleiten. Er war sich sicher, dass er das gut hinbekommen und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. An manchen Tagen. Und dann waren diese Tage wie dieser, an dem er genau daran zweifelte. Die letzte Gehaltserhöhung machte die Entscheidung nicht leichter.
Während er so vor sich hin sinnierte, sah er in einiger Entfernung die Bank. Sie stand direkt am Rand des Waldes. Darauf sitzend würde er einen fantastischen Blick ins Land haben. Er steuerte darauf zu und bemerkte auf den letzten Metern den älteren Mann, der dort saß und das Gesicht der Sonne zuwandte. Erwirkte nachdenklich, während sich sein Blick scheinbar in den sanft geschwungenen Hügeln und das weite Land vor ihnen verlor.
„Hallo“, sagte Paul freundlich. „Darf ich mich zu ihnen setzen?“ Der ältere Mann lächelte und nickte. „Natürlich, mein Junge, Setzen sie sich gerne.“
Nach einer Pause, in der sie beide die unglaubliche Aussicht genossen, begann der Mann zu erzählen. Er berichtete von seiner langen Karriere als Direktor einer pädagogischen Fachschule, von unzähligen Momenten voller Stolz auf Erreichtes und ebenso solchen, die ihn in all den Jahren auch mal traurig machten und zweifeln ließen. Nun, da er seit wenigen Wochen im Ruhestand war, erinnerte er sich immer öfter an seine Träume und an all die wichtigen Weichen im Leben, wo er sich gegen seine Träume entschieden hatte.
Paul erlebte den Mann nachdenklich und seinen verpassten Chancen hinterher trauernd. Das berührte ihn zwar peinlich, hatte er ihn doch scheinbar in einem sehr intimen Augenblick gestört. Andererseits erkannte er sich selbst in der Geschichte des Mannes wieder. Und so erzählte er ihm von seinen eigenen Träumen und davon, wie er schon als junger Mann eine große Leidenschaft entwickelt hatte, Menschen in wichtigen Entscheidungsprozessen zu begleiten. Er erzählte ihm, dass auch er sich für einen anderen beruflichen Weg entschieden hatte und ihm immer stärkere Zweifel gekommen sind, ob er sich selbst richtig entschieden hatte. Und er erzählte ihm, dass er kurz davor sei, seine jetzige Anstellung aufzugeben und sich als Entscheidungscoach selbständig zu machen. Er sprach voller Leidenschaft über seine Vision, anderen zu helfen, ihre Bestimmung zu finden und mutig ihren Weg zu gehen.
Der ältere Herr lauschte aufmerksam und war tief berührt von Pauls Ideen und seiner Leidenschaft. Was hatte das Schicksal mit dieser Begegnung im Sinn? Wollte es etwa, dass er seine eigenen Erfahrungen und sein Wissen an diesen jungen Mann weitergeben solle, ihn vielleicht sogar bei der Verwirklichung seiner Ideen zu begleiten?
Nachdem Paul geendet hatte, sagte der Mann nachdenklich zu ihm: „Mein Junge, Ihre Geschichte hat mich sehr berührt. Es scheint, als hätten Sie eine große Leidenschaft und ein ebenso großes Potenzial anderen zu helfen. Was meinen Sie, vielleicht könnten wir gemeinsam etwas ganz besonderes aufbauen?“
Paul war sehr erstaunt über diese Reaktion auf seine Geschichte. Tief in seinem Inneren spürte er aber auch eine große Dankbarkeit. Was hatte das Schicksal mit dieser Begegnung vor?
Die beiden Männer verbrachten den restlichen Nachmittag damit, der Vision, die sich anschickte, eine gemeinsame zu werden, ein Gesicht und spannende Inhalte zu geben. Als die Sonne tief stand verabschiedeten sich, nicht ohne sich bereits für den nächsten Tag zu verabreden. Sie hatten Feuer gefangen für eine Idee, welche für sie beide die Verwirklichung eines Traumes bedeuten konnte. Und auch wenn sie aus zwei verschiedenen Generationen stammten, fühlten sie, dass sie gemeinsam etwas großes gestalten können. Schon nach wenigen Wochen hatten sie eine solide Grundlage für ihre Partnerschaft geschaffen. Der junge Paul konnte seine Leidenschaft verwirklichen und der ältere Mann
fand eine neue Erfüllung in seinem Ruhestand. Noch vor Jahresfrist erblickte das Unternehmen „Wege finden“ das Licht der Welt und es wurde schnell bekannt für seine vertrauensvolle und kompetente Begleitung in Entscheidungsprozessen.
Die Geschichte von Paul und dem älteren Mann zeigt uns, dass es nie zu spät ist, unsere Träume zu verfolgen und das Begegnungen manchmal zu unerwarteten Wendepunkten in unserem Leben führen können. Sie erinnert uns daran, dass Altersunterschiede keine Barrieren sind, sondern eine wertvolle Quelle von Knowhow, Erfahrung und Weisheit darstellen können.
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Müßiggang ist aller Laster Anfang
„Müßiggang ist aller Laster Anfang“
Benedikt von Nursia
Ist das so? Es gab eine Zeit, in der stand derjenige, der arbeiten musste, am Rande einer Gesellschaft von Freien. Was den Freien vom Sklaven unterschied, war die Muße, also die Möglichkeit sich mit den wirklich wichtigen Dingen wie Philosophie, Kunst und Recht zu beschäftigen. In dieser Zeit ging man sogar davon aus, dass Arbeit um des Erwerbs Willen den Charakter schädige. Menschen, die arbeiteten, um sich und ihre Familien zu ernähren, hatten aus diesem Grund nie die Chance, ein öffentliches Amt auszuüben.
Ist Müßiggang also tatsächlich aller Laster Anfang? Oder ist er vielleicht sogar das höchste Ziel? Benedikt von Nursia, hat eine Antwort auf diese Frage. Für ihn ist Müßiggang eine Weiterentwicklung der Muße, eine für ihn zugegebenermaßen unerfreuliche. Während Müßiggang zu einer grundsätzlichen Ablehnung irgendetwas zu tun führen kann, ist Muße die Chance für eine willkommene Beschäftigung. Etwas zu tun, was Freude macht, schafft Lust auf das Leben und setzt Energie frei. Benedikt spricht von der Balance zwischen aktivem und kontemplativem Leben der Mönche. Ore et labore et lege – bete, arbeite und lese! In die heutige Zeit übertragen könnte es bedeuten: Arbeite, erhole dich und bilde dich!
Der deutsche Philosoph Immanuel Kant gab diesem Kontext eine neue Qualität indem er sagte: „Je mehr wir beschäftigt sind, je mehr fühlen wir, dass wir leben.“ Dieses Verständnis des Verhältnisses von Arbeit zu Muße ist allerdings nicht nur Triebkraft für außergewöhnliche Leistungen, sondern birgt auch die Gefahr, die Balance zwischen beiden Polen zu verlieren.
Und genau das stelle ich bei Begegnungen und Gesprächen mit Menschen unterschiedlichster sozialer Hintergründe immer wieder fest: Sie bemessen die Qualität ihrer Lebenszeit, nach der Intensität und den Ergebnissen ihrer Arbeitszeit. Und wenn das für viele im Laufe ihres Arbeitslebens nicht schon ein ernstes, nicht selten auch gesundheitliches Problem mit sich bringt, so setzt dieses spätestens oft in dem Augenblick ein, in dem eine neue Lebensphase beginnt: Der Ruhestand.
Bereits wenn diese Phase lange angekündigt und geplant vollzogen wird, stehen viele Betroffene vor der Herausforderung, den Wert ihres Daseins neu bemessen zu müssen, fehlen ihnen doch jetzt die außergewöhnlichen Ergebnisse ihrer Arbeitsleistung als wesentliche Messgröße. Doch wieviel schlimmer trifft es diejenigen, die plötzlich, unerwartet und vielleicht sogar in einem kurzen aber emotional schmerzhaften Prozess aus ihrem Arbeitsleben herauskatapultiert werden? Für sie fällt nicht nur die zuvor beschriebene Messgröße weg, sondern sie sehen sich darüber hinaus auch noch mit einer gefühlten Aberkennung der Qualität und des Mehrwertes ihrer Arbeit in der Vergangenheit konfrontiert.
Das ist die Geburtsstunde von Krankheiten. Und ganz oben auf dieser Liste steht die Erkrankung der Seele. Sie ist verletzt. Sie sucht Halt. Und sie sieht die Chance, sich noch einmal zu zeigen und wertvolle Signale zur Frage aller Fragen zu senden: Warum bin ich hier? Was ist mein Auftrag? Was erfüllt mich? Womit möchte ich mich ab jetzt beschäftigen, um mir selbst und der Welt einen Wert-vollen Dienst zu erweisen?
Jetzt gilt es also zunächst ihr, unserer Seele, einen Dienst zu erweisen und uns auf den Weg zu machen, diese Fragen gemeinsam mit ihr zu beantworten.